Mittwoch, 16. September 2009

Arany János: Brückenweihe

"Verdammt! Jetzt setz ich doppelt, Leute!"
Der Jüngling sprach's, die Karte fällt.
"Um alles oder nichts geht's heute!
Mein letzter Coup, mein letztes Geld!"...
Vorbei! Verspielt! Vom Glück geprellt!...

Die Hoffnung eines jungen Lebens
vertan, zunichte jäh gemacht!
Ein Widerruf - zu spät, vergebens!
Um alles hat er sich gebracht!...
Er wankt hinaus... Schwarz ist die Nacht.

Vor ihm der Strom... Noch wehn die Fahnen,
der neuen Brücke Feierkleid,
an Margarete zu gemahnen,
die heilige Jungfrau, der man heut
sie fromm und festlich hat geweiht.

Zur Brückenmitte, wo die Streben
vernietet sind, treibt ihn sein Leid,
indes vier Türme rings anheben
ihr dumpfes Mitternachtsgeläut,
und Sternglanz blinkt im Strom verstreut.

Die Uhren hallen her von ferne
teils hell, teils tief, der Jüngling lenkt
den Blick zum Spiegelbild der Sterne,
wo spukhaft, wenn die Flut sich senkt,
ein Schwarm von Köpfen aufwärts drängt.

Jünglinge, Mädchen, Kinder, Greise!...
Neugierig scheinen sie zu sein...
Sie tauchen auf, erst flüsternd leise,
bis sie beginnen laut zu schrein:
"Kommt, weiht die neue Brücke ein!

Wer springt als erster von uns allen?"...
Ein Liebespaar in Weiß erscheint,
schwebt hoch zur Brücke, läßt sich fallen
und ruft umarmt: "Im Tod vereint!
Die Welt war unsrer Liebe feind!"

Und dann steht auf dem Brückenbogen
ein Millionär... Beifall erklingt.
"Die Schuldner haben mich betrogen!
Ich tu das nicht!" - ruft er... und springt.
Aufschäumt die Flut, die ihn verschlingt.

Der dritte tritt an die Barriere.
"Ein Wechsel platzte mir! Ich hab
verpaßt den Zahltag! Meine Ehre
ist hin! Ich wasch die Schande ab!"
- stöhnt er - und stürzt ins Wellengrab.

Die Wellen kreiseln, und der vierte,
ein Jüngling, sprungentschlossen spricht:
"Als ich die Prima absolvierte,
ging aus das Geld mir armen Wicht,
Kredit jedoch bekam ich nicht!"

Ein würdiger Greis mit weißen Haaren
schleppt sich zur Brücke nun hinauf:
"Zu lang zog ich den Lebenskarren,
der Lohn blieb aus, ich geb es auf!
Strom, nimm mich hin in deinen Lauf!"

Gelangweilt klagt dann ihre Leiden
ein Dämchen, zart geschminkt und fein:
"Ich hab es satt, mich umzukleiden
für andere tagaus, tagein!",
und stürzt sich in den Strom hinein.

Drauf steigt mit protzigem Gehabe
steifbeinig ein Skelett empor,
und knarrt: "Vor meinem Marschallstabe
floh selbst Napoleon, dieser Tor!" -
"Der Narr!" - raunt rings der Toten Chor.

Ein Bursch in Lumpen hört ihn prahlen,
springt ins Genick ihm, sodaß sie
zusammen in die Fluten fallen.
"Herr Meister" - ruft der Junge - "nie
legst du mich wieder übers Knie!"

"Steinreich war ich, doch jetzt bekommen
mir keinerlei Genüsse mehr!" -
"Die Jüngere hat der Kerl genommen,
so treu ich ihm auch war bisher!"
- Sie klagen, springen kreuz und quer.

"Das Los entschied. Ich hab geschworen
mich selbst zu richten - nun wohlan!" -
"Ich hatte alle Scham verloren,
hab mir dadurch verscherzt den Mann!
Donau, nimm du als Braut mich an!"

Dann, nicht mehr einzeln, nein, in Reihen
springen sie von der Brücke ab,
wirbeln wie Vögel hoch und schreien,
fallen wie Fische stumm hinab,
zum Tod gewillt im Wellengrab.

Schaumkronen steigen wie Fontänen,
Luftblasen quellen rings herauf.
Die Todessüchtigen kreisen, stöhnen
dem Mühlrad gleich hinab, hinauf.
Die Donau nimmt sie alle auf.

Der Jüngling starrt in dies Getümmel,
steht wie betäubt, sieht gar nichts mehr.
Und wilder stets wird das Gewimmel
in pausenloser Wiederkehr.
Jäh reißt der Sog ihn hinterher...

Wer kann dem Wahnsinn widerstehen,
der Hölle Zauber brechen, wer
die Schicksalsuhren rückwärts drehen?...
'Eins' schlägt es dröhnend, dumpf und schwer...
Der Mond sieht Strom und Brücke - leer.

MARTIN REMANÉ

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