Mittwoch, 23. September 2009

Priskos (410/420-vor 472): Ein Gastmahl am Hofe Attilas

Aus dem Berichte des griechischen Rhetors Priscus, welcher im Jahre 448 mit einer oströmischen Gesandtschaft an den Hof des Hunnenkönigs kam. Griechischer Text bei Niebuhr, Corpus scriptt. hist. Byzant. 1829, I, 202 fg., und Althof, Waltharii Poesis, I, S. 177 fg.

- "Als wir (1) in das Zelt zurückgekehrt waren, kam der Vater des Orestes (2) und sagte, daß Attila und beide zum Mahle lade, und zwar werde es um die neunte Stunde des Tages stattfinden. Wir beobachteten die festgesetzte Zeit, und zum Mahle gerufen, kamen wir und auch die Gesandten der Weströmer und standen auf der Schwelle Attila gegenüber. Die Weinschenken reichten uns nach der Landessitte einen Becher, damit auch wir vor dem Niederlassen einen Glückwunsch ausbringen möchten. Als wir dies gethan und aus dem Becher gekostet hatten, gingen wir zu den Sesseln, auf denen man beim Gastmahle sitzen sollte. Alle Stühle standen längs den Wänden des Gemaches an zwei gegenüberliegenden Seiten. In der Mitte aber saß auf einem Tafelbette Attila, und hinter ihm war ein anderes Tafelbett ausgebreitet, von welchem einige Stufen nach seinem Nachtlager führten, welches zum Schmuck mit feinen Linnen und bunten Vorhängen verhüllt war, ähnlich den Lagern, welche die Hellenen und Römer den Brautleuten herrichten. Für die vornehmste Platzreihe der Tafelgenossen hielten sie die Seite rechts von Attila, für die zweite die linke, wo wir waren und Berichos, ein Mann aus edlem scythischen Geschlechte, der jedoch über uns saß. Denn Onegis (3) saß auf einem Sessel an der rechten Seite des königlichen Bettes, und dem Onegis gegenüber saßen auf einem Sessel zwei Söhne Attilas. Der älteste aber saß auf dem Bette des Königs, nicht nahe bei ihm, sondern an dem Ende und sah aus Ehrfurcht vor dem Vater zu Boden. Als alle der Ordnung gemäß Platz genommen hatten, kam der Weinschenk und überreichte Attila ein hölzernes Trinkgefäß (4) voll Wein. Nachdem dieser es in Empfang genommen hatte, grüßte er den ersten im Range. Wer aber durch den Gruß geehrt wurde, erhob sich und durfte sich nicht eher setzen, als bis er entweder gekostet oder auch ausgetrunken und den Becher dem Schenken zurückgegeben hatte. Dem Attila aber, welcher sitzen blieb, bezeigten die Anwesenden auf dieselbe Weise ihre Ehrfurcht, indem sie die Becher nahmen und nach einem Heilwunsche daraus tranken. Bei einem jeden war aber ein besonderer Schenk, welcher der Reihe gemäß eintreten mußte, wenn Attilas Schenk hinausging. Nachdem der zweite und die folgenden gegrüßt worden waren, bewillkommte Attila auch uns nach der Ordnung der Sitze. Als nun alle durch Attila geehrt worden, gingen die Schenken hinaus, und es wurden Tische neben den des Attila gestellt für drei oder vier oder auch mehr Männer, von denen jeder sich von dem auf den Tisch Gesetzten nehmen konnte, ohne aus der Reihe der Sessel herauszutreten. Und zuerst trat herein der Diener Attilas, eine Platte mit Fleisch tragend, und diejenigen, welche alle bedienten, setzten nach ihm Brot und Zukost auf die Tische. Aber für die übrigen Barbaren und für uns waren üppige Gerichte zubereitet, die auf silbernen Tellern lagen; für Attila aber stand auf einer hölzernen Platte nichts als Fleisch. Einfach zeigte er sich auch in allem anderen, denn den am Schmause teilnehmenden Männern wurden goldene und silberne Becher gegeben, sein Trinkgefäß aber war aus Holz. Schlicht war auch seine Kleidung, welche keine andere Sorgfalt zeigte, als daß sie sauber war. Auch waren weder sein umgegürtetes Schwert noch die Bänder seiner Barbarenschuhe noch das Zaumzeug seines Rosses wie bei den anderen Scythen mit Gold oder Steinen oder irgend einer Kostbarkeit geschmückt. Als die auf den ersten Schüsseln aufgetragenen Speisen verzehrt waren, standen wir alle auf, und nicht eher kam der Stehende wieder auf seinen Sessel, als bis jeder nach der früheren Reihenfolge den ihm kredenzten vollen Becher Weines ausgetrunken und dem Attila Heil gewünscht hatte. Als dieser auf solche Weise geehrt worden war, setzten wir uns, und es wurde die zweite Platte, welche andere Gerichte hatte, auf jeden Tisch gesetzt. Als auch von dieser alle genommen hatten, standen wir auf dieselbe Weise auf, tranken wiederum aus und setzten uns. Als der Abend herankam, wurden Fackeln angezündet, und zwei Barbaren, welche Attila gegenüber traten, trugen von ihne verfaßte Gesänge vor, die seine Siege und kriegerischen Tugenden priesen. Auf die Sänder blickten die Tafelgenossen, und die einen freuten sich über die Gedichte, die anderen wurden begeistert, indem sie sich der Kriege erinnerten, andere aber, denen der Leib durch das Alter schwach geworden und deren Mut zur Ruhe gezwungen war, brachen in Thränen aus. Nach dem Vortrage der Gesänge kam ein scythischer Narr herein, der wunderliches und unsinniges Zeug vorbrachte und bei allen Gelächter erregte. Nach ihm trat der Maurusier (5) Zerkon ein. Ediko (6) hatte ihn nämlich beredet, vor Attila zu erscheinen, um durch seine (Edikos) Bemühung die Gattin wiederzuerhalten, welche er im Barbarenlande genommen hatte, da er bei Bleda (7) gut angeschrieben war; er hatte sie aber im Scythenlande zurückgelassen, als er von Attila als Geschenk an Aëtius (8) geschickt wurde. Aber in dieser Hoffnung wurde er getäuscht, weil Attila darüber zürnte, daß er in sein Land zurückgekehrt war. Er kam also bei der günstigen Gelegenheit des Gastmahls, und durch Aussehen, Kleidung, Stimme und zusammengestammelten Reden, in denen er lateinische, hunnische und gotische Sprache vermengte, erheiterte er alle und bewirkte, daß sie in unauslöschliches Gelächter ausbrachen, außer Attila. Denn dieser blieb unerschütterlich und sein Antlitz unbewegt, und er zeigte weder in Worten noch im Thun etwas, was Heiterkeit verriet, außer daß er den jüngsten seiner Söhne, Namens Ernas (Irnach), als dieser eintrat und zu ihm kam, in die Wange kniff und mit freundlichen Augen anblickte. Als ich mich wunderte, daß er die anderen Kinder wenig achte und allein auf diese seine Aufmerksamkeit richte, da sagte der neben mir sitzende Barbar, welcher der lateinischen Sprache mächtig war, nachdem er zuvor gesagt hatte, ich möge nichts von dem, was er mir mitteilen wolle, weiter erzählen, die Wahrsager hätten Attila verkündet, daß sein Geschlecht herunterkommen, aber durch jenen Sohn wieder in die Höhe gebracht werden würde. Als sie aber das Gelage in die Nacht hinein zogen, gingen wir fort, da wir an dem Trinken nicht länger mehr teilnehmen wollten. - - -
Unterdessen lud auch Reka, die Gemahlin Attilas, uns zum Mahle ein in das Haus des Adames, der ihre Geschäfte besorgte, und als wir zugleich mit einigen Vornehmen aus dem Volke zu ihm kamen, fanden wir freundliche Aufnahme. Denn er empfing uns mit liebreichen Worten und prächtig zugerüstetem Mahle, und ein jeder von den Anwesenden erhob sich und reichte uns mit scythischer Höflichkeit einen gefüllten Becher, und wenn man ihn ausgetrunken hatte, so umhalste und küßte er einen und nahm ihn wieder an sich. Nach dem Mahle gingen wir in das Zelt und legten uns schlafen. Am folgenden Tage lud uns Attila wiederum zur Tafel, und als wir in der früheren Weise bei ihm eingetreten waren, wandten wir uns den Tafelgenüssen zu. Es traf sich aber, daß auf dem Tafelbette zugleich mit ihm selbst nicht der älteste der Söhne, sonder Oëbarsios, der Bruder seines Vaters, saß. Während des ganzen Mahls redete er freundlich mit uns und befahl uns, dem Basileus zu melden, u.s.w. - - Nach Anbruch der Nacht entfernten wir uns von dem Mahle. - -"

(1) Priscus und der byzantinische Gesandte Maximinus, auf dessen Bitten der Erstgenannte an der Reise teilgenommen hatte.
(2) Ein Römer aus dem den Hunnen unterworfenen Päonien, welcher den Gesandten Attilas an den Kaiserhof nach Byzanz begleitet hatte.
(3) Ein vornehmer Mann und Vertrauter Attilas.
(4) Kissibion, ein Becher aus Epheuholz, wie ihn die Landleute brauchten, z.B. der "göttliche Sauhirt" Eumäus bei Homer Od. 14, 78 und 16,52.
(5) Mauritanier.
(6) Edigo, ein großer Kriegsheld, Anführer der germanischen Skiren, von Priscus unrichtig als Scythe bezeichnet, war als Gesandter Attilas vorher in Byzanz gewesen.
(7) Im Nibelungenlied Blödel, Bruder Attilas und sein Mitregent, bis er um 445 von ihm ermordet wurde.
(8) Der berühmte Feldherr des weströmischen Reiches und Besieger Attilas hatte sich einst als Geisel und später als Flüchtling eine Zeitlang bei den Hunnen aufgehalten.



Quelle: Hermann Althof: Das Waltharilied. Ein Heldensang aus dem zehnten Jahrhundert. Leipzig 1902.

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